Oder:
Wie macht man aus linken Jugendlichen einfach nur Jugendliche?
Puh! Dritte Spalte also heut…, Bergfest am Ende des Beitrags. Naja. Wat mut, dat mut. Also ran an die Tastatur. Jeden Tag eine Polemik. Das Publikum will unterhalten werden.
Wir sind zuletzt immerhin bis zur vierten Frage der interviewenden Person gekommen. Im Kreuzer-Interview („Gegen wen lehnt man sich eigentlich noch auf?“) heißt es dort, dass im Text „the great connewitz swindle“ des Roten Salons zu lesen sei, dass „Militanz und Gewalt das »letzte Alleinstellungmerkmal seien, das »nur noch der Herausstellung der eigenen Radikalität« diene, da der Großteil der Gesellschaft sich in Sachen Antifaschismus, Feminismus, Diversity etc. einig“ seien.
Ach, wie doch wieder so wenige Worte so vieler bedürfen, sie ein wenig gerade zu rücken.
1: Der Begriff Radikalität kommt vom lateinischen radix, zu deutsch der Wurzel, meint dass radikale Kritik oder radikale Haltung Missstände von deren Wurzel/Ursache her betrachtet und kritisiert. Nicht aber reformistisch daran herum doktorn möchte, sondern es mit der Wurzel aus den gesellschaftlichen Zusammenhängen herausreißen will.
2: Z.B. muss, um einen Feminismus erfolgreich umzusetzen, hierfür das Patriarchat abgeschafft werden, was eine gewaltige und umfassende gesellschaftliche Umformung bedeutet, die an manchen Stellen mächtig Reibung erzeugen würde (und manch Erhitzung bei den alten weißen Männern*). Dies ist allgemein aber nicht gewünscht. Wenn heutige Politiker*innen von ihrem Feminismus reden, dann meinen sie so etwas, wie bestehende Systeme anzupassen, z.B. dafür zu sorgen, dass Frauen* und Männer für die gleiche Arbeit denselben Lohn und dieselbe Rente erhalten, dass Frauen* bei Einstellungen und bei der Krankenkasse nicht benachteiligt werden sollen, nur weil sie potentiell gebären könnten. Dieses sind alles selbstverständlich wünschenswerte Reformvorhaben, es wird jedoch nicht reichen die kleinen und großen Ungleichheiten, die hiervon unbeeinflusst bleiben, zu beseitigen. Spricht also, z.B., eine sich feministisch dünkende SPDlerin von Feminismus, meint sie etwas anderes als die links-radikale Feministin. Und genauso ist es bei den vermeintlichen Haltungen in der Gesamtgesellschaft. Jedenfalls dort, wo sie ehrlich gemeint sind. Denn dass Menschen auch gern Sachen sagen, von denen sie glauben, dass mensch diese von ihnen hören möchte, hatten wir schon im letzten Text mal erwähnt. Zudem Aussagen und Taten etwas Grundverschiedenes sind. Wie auch manchmal Menschen schlicht und ergreifend lügen, wenn sie was gefragt werden. Darauf weist die interviewende Person auch richtigerweise hin, in ihrer fünften (Nach-)Frage.
3: Die Gewalt kann hierbei für ein Mittel gehalten werden, Vorstellungen ins Reale zu überführen. Ein Mittel, was andere Mittel nicht ausschließen muss, und dass auch nicht als Primäres gewichtet werden muss, auch wenn das natürlich möglich ist. Z.B.: ein übergriffiger Mann erntet in der Gesellschaft schon oft und von nicht wenigen Missbilligung. Diese könnte reichen, dass er sein Verhalten überdenkt und sogar ändert. Aber der Leidensdruck, den es zur Veränderung braucht, ist nicht sehr hoch. Eine teilöffentliche Schmähung/Ächtung der Person mag da schon mehr Druck machen und vielleicht wirkt es. Vielleicht aber auch nicht. Wenn nun also nicht und jener Mann sein Verhalten erneut an den Tag legt, so scheint es doch notwendig, den Druck weiter zu erhöhen. Und vielleicht, nur vielleicht(!), braucht diese Person eine (oder zwei, drei…) aufs Maul, um zu verstehen, dass sein Verhalten ihm schadet. Selbstverständlich ist eine solche Gewaltanwendung illegal. Tja… dann ist sie es halt.
Ergo: Aus Obigen erkennen wir, dass die Radikalität per se erstmal nichts mit Gewalt zu tun hat. Dass aber, ob der Radikalität, zur Gewalt gegriffen werden kann, wo andere Mittel nicht zum Erfolg einer Wirkung der Kritik führen. D.h. Radikalität muss sich nicht gewalttätig herausstellen, sie äußert sich vielmehr ihn ganz normalen Gesprächen, Kundgebungen, Verlautbarungen, eben Äußerungen von Ansichten. Einem Faustschlag ist jedoch die Ursache desselben nicht abzulesen, aus ihm lässt sich keine Radikalität ablesen. Zudem die Betrachtung der Militanz als Alleinstellungsmerkmal den unglaublich kleinen Horizont der dies Äußernden aufzeigt. Der, scheint es, nicht einmal so weit reicht, die großteils friedlichen Demonstrationen, die emanzipatorische Gruppen organisieren, zur Kenntnis zu nehmen. So waren wir als Gruppe z.B. letztes Jahr in Altenburg beim CSD dabei. Der CSD mag für viele emanzipatorische Kräfte ein bürgerliches, läppisches Fest sein, dem sie nichts mehr abgewinnen können, weil sie diese Veranstaltungen aus Großstädten wie Leipzig und Berlin kennen. Auf dem Land gibt es aber noch Androhungen von Naziangriffen und von Angriffen auf die Organisator*innen. Mitnichten zeigte sich Altenburg als diversity-begeistert, vielmehr wurde politisch und bürgerschaftlich versucht, den CSD abzuwenden. Und wie gesagt, es handelt sich hierbei nur darum, dass es ein paar Reden, etwas Musik, einen bunten Umzug und bisschen Sichtbarkeit für sich dadurch angesprochen fühlende Personen gibt.
Müssen wir nun überhaupt noch lesen, was der Rote Salon, auf diese Frage zu antworten hat? Wirklich? Wir müssen? Ach, verdammt.
Dumme Fragen und einfache Antworten
Was sollen linke Zentren fordern, wenn sogar die Innenministerin sagt, dass das größte Problem in Deutschland der Rechtsextremismus sei, so fragt der Marcel zurück. Wie wäre es damit – nur an diesem einen Themenkomplex(!) – : das V-Mann-System abschaffen, Verfassungsschutz abschaffen, defund the police, weniger martialische Polizeipräsenz, Abschaffen der agent provocateur Taktik, rechte Organisationen/Parteien verbieten, die Kategorie des hate-crimes ins Strafgesetzbuch einführen, usw. Kurz: zu fordern ist, dass nicht nur gesagt wird, Rechtsradikalismus sei ein Problem, sondern dass auch UMFASSEND gehandelt wird. Dieses umfassende Handeln ist jedoch nicht wahrzunehmen, da sich an den systematischen Bedingungen, etwa des Polizeiwesens, nicht wirklich etwas ändert. Die gebrachten Beispiele werden auch von der Innenministerin nicht ernsthaft erwogen werden. Was denn, mitsamt der Haltung der Sicherheitsorgane zu solchen Forderungen als Gegenwind aus der Gesellschaft beschrieben werden könnte.

Wenn es also Gegenwind gibt, daran sich abgearbeitet werden kann, und Forderungen ganz und gar nicht übernommen werden, dann ist, die letzte Zuflucht in der Gewalt zu suchen, nicht, wie es der Rote Salon darzustellen versucht, die ultima ratio und geradezu kausal die Folgerung. Wäre dem so, ließe sich eine umfassende Welle der Gewalt feststellen, da dann jede*r Linke, die*der sich radikal dünkte, ja laut der blödsinnigen Herleitung des Roten Salons zur Gewalt greifen müsste. Selbst die vom Innenministerium und den konservativen bis rechten Polizeien zurechtgeschusterten Kriminalstatistiken geben so einem Schluss nicht die nötige Evidenz. Es ist einfach Blödsinn, Quatsch mit veganer Soße, ein Hirnfurz, der da im Kreuzer zu Protokoll gegeben wurde.
Weiterhin sagt der Rote Salon, er sähe „eine historisch Entwicklung“, der Antifaschismus habe einen „neuen Stellenwert“ erhalten, da „viele wichtige Initiativen und Projekte“ staatlich gefördert würden (nicht wie in den 90ern, etwa ab 2000). Aus Sicht des Roten Salons bestehe durch diese Veränderungen und deren Folgen daher „die Nazibedrohung nicht mehr in dieser Form“. Mmhhh… .
Erneut, Erstens: die vermeintlich Etablierung und Förderung von emanzipatorischen Organisationen und Gruppen wird nicht ausschließlich als positiv erachtet, vielmehr wird nicht selten darauf hingewiesen, dass um die Bedingungen einer Förderung zu erreichen, die ursprüngliche Radikalität leide. Forderungen werden verwässert, mensch muss plötzlich aufpassen, was öffentlich wird, weil mit der Vergabe auch das Damoklesschwert des Förderstopps – bei Nichtgefallen – droht, insbesondere, wenn über die Fördermittelvergabe von Konservativen und Rechten selbst mitentschieden wird. Fördermittel erzeugen Abhängigkeiten und eine dadurch gewachsene und gefestigte Struktur kann so viel schneller erheblich ins Schlingern geraten, wenn die Förderung plötzlich ausbleibt. Für die es im Übrigen keine Garantie gibt. Es ist also irreführend diese Etablierung als ausschließlich positiv darzustellen. Dass diese staatliche „Unterstützung“ zudem wirkmächtig in der Gesellschaft wurde, ist ebenso befragenswert (und nicht letztlich zu klären).
Zwotens: Die Nazibedrohung bestehe nicht mehr, in dieser Form. Welcher Form jetzt? Der aus den 90ern? Oder der 2000er? Besteht jetzt die Nazibedrohung gar nicht mehr, oder hat die Bedrohung nur die Form geändert? Insofern Ersteres: WAS???!!! Insofern Letzteres: Na und? Hat die Form sich geändert, bleibt: Nazis müssen bekämpft werden, egal ob sie als Dreiecke oder Quadrate einher marschieren. Meint das, der Kampf müsse sich der veränderten Form anpassen? Wenn ja: Wieso? Müsste doch erstmal festgestellt werden, dass dieser Kampf nicht mehr funktionierte oder gar kontraproduktiv sei. Zudem, wie hat sich denn die Form geändert? Und was wäre ein adäquater Kampf? Keine Antworten, stattdessen sollten die Antifaschisten die beschriebene Veränderung, 90er bis heute, zur Kenntnis nehmen, was wichtig sei, weil jüngere Antifaschist*innen, die „keine eigene Anschauung von den Zuständen in den 90er Jahren mehr“ hätten, irgendwie sonst unter einem „mangelnden Urteils[vermögen]“ über den „gegenwärtigen Grad der Bedrohung“ leiden könnten.
Kein*e heutige*r Antifaschist*in, hat den Beginn des Faschismus in Italien oder Spanien miterlebt. Dennoch ist den Antifaschist*innen klar, dass sie gegen der Faschismus sind. Die 90er sind als eine historische Singularität zu betrachten. Diese hat notwendig die Weise und Form des Nazismus und Faschismus in den entsprechenden Zirkeln beeinflusst, hat jedoch ihr Wesen nicht verändert. Ohne Zweifel ist es sinnvoll, sich mit der Antifaschistischen Bewegung in LE in den 90ern auseinanderzusetzen und hier eine redliche Historisierung zu betreiben. Doch zu behaupten, dass ein bestimmtes historisches Wissen notwendig sei, nicht unter mangelndem Urteilsvermögen zu leiden, vulgo: genauso über die Bedrohungslage zu urteilen wie der rote Salon, ist schon ein starkes Stück. Zumal, wenn es zuvor ein Argument war, dass sogar das Innenministerium diese Bedrohung klar erkannt habe (was es nicht hat!).
Gegen Aufstoßen hilft einfach mal die Klappe halten (beim Essen)
Nun stellt die interviewende Person mal wieder eine etwas bessere, sechste, Frage: „[W]ie sollte eine linke Subkultur heute aussehen“? Die Antwort darauf ist keine. Einzig wird das eigene Aufstoßen bekundet: weniger „verbal“ radikal und den staatlichen Stellen zugewandter sollte es doch zugehen. Zuvor wird aber immerhin zugegeben, dass das schwierig zu beantworten sei. Aber der Rote Salon meint, dass Kritik weniger grundsätzlich sein solle, vielmehr solle mensch mitmachen und nicht so Anti- sein; kurz, wie schon in der ersten Spalte: die Linke solle doch bitte nicht so links sein, die emanzipatorischen Kräfte, nicht so emanzipatorisch, die Anarchist*innen und Kommunist*innen sollten die Parteiendemokratie und den Kapitalismus einfach mal ins Herz schließen, um auch mit „Politik“ zu machen. Dieses aufstoßende Gefühl zu unterstützen, wird dann exakt ein Beispiel genannt, welches so oberflächlich betrachtet wird, dass es ein Graus ist. Habe doch der Oberbürgermeister geladen, um über das Viertel zu reden. Und die Radikalinskis seien gar nicht hingegangen, aufgrund ihrer eigenen Radikalität. Nicht etwa aufgrund der detailliert dargestellten Gründe in den veröffentlichten offenen Briefen2 zu dem Thema. Nicht etwa, weil das ganze schlecht geplant und nicht offen für Gruppen war, die teilnehmen wollten, sondern bestimmte Gruppenvertreter*innen angeschrieben wurden, mit dem OB und dem Polizeichef zu sprechen. Warum der Polizei? Weil es bei dem Treffen darum gehen sollte, was zuvor zu Silvester angeblich passiert war und darum, dass Investor*innen in Connewitz doch nur die besten Absichten hätten – oder so ähnlich. Selbst Mitarbeiter*innen des OB gaben zu, dass die gewählte Form nicht passend war und überstürzt gehandelt wurde.
Auch die Vorstellung ist süß, dass wenn mensch teilgenommen hätte, dieser hätte „Politik […] machen“ können. Bei einem völlig unverbindlichen Kaffeeklatsch und ohne jede Konsequenz geplantem Treffen? Der OB hätte sich die „Sorgen und Nöte“ der Eingeladenen angehört und sich bemüht, möglichst so zu tun, als ob er diese verstehe und nun, nachdem er das alles ernst nehme, in Connewitz doch bitte vom „Bürgerkrieg“ zu Silvester abzusehen sei. Auch um den Konservativen sagen zu können, dass die „Probleme“ in Connewitz nun von oberster Stelle her angegangen würden, oder so.
Die (hoffentlich nur) gespielte Naivität geht weiter, wo es um die Gentrifizierung in der Antwort darauf geht, wie eine linke Subkultur aussehen solle… . Was das Thema da zu suchen hat…? Nix. Aber hey, jetzt ist ja eh schon alles egal. Wir widmen uns diesem letzten Teil der dritten Spalte morgen, und wollen an dieser Stelle schon mal darauf hinweisen, dass die Vernetzung Süd zu diesem Thema einiges zu sagen hat, die sich intensiv mit der Gentrifizierung beschäftigt und klassische Bündnisarbeit und Kommunikation mit Verwaltung und Lokalpolitik sucht, was es in Connewitz laut Rotem Salon ja gar nicht gebe… . Doch genug! Für heute.
Kein Gott, Kein Staat, kein Salon im CI-Kombinat.
1 Quelle: Helmichs Chemie-Lexikon
2 Text des ersten offenen Briefes nebst Einladungsschreiben des OBM in einem Artikel der L-IZ
zweiter offener Brief: