Titelbildquelle: https://www.welt.de/vermischtes/kriminalitaet/plus247835624/Fall-Bilel-G-Polizeieinsatz-in-Bad-Salzuflen-Eine-Sackgasse-und-34-Schuesse.html
Am 11ten Oktober starb mal wieder ein Mensch durch Schüsse aus einer Polizeiwaffe. Am 12ten berichtet tagesschau.de, dass in Nordrhein-Westfalen, in Dellbrück bei Paderborn, ein Mann von 4 Schüssen getroffen – einer davon ein Kopfschuss – starb. Er sei als vermisst gemeldet worden, er habe Suizidgedanken gehabt, eine Suchaktion u.a. mit Hubschrauber wurde durchgeführt, konnte ihn jedoch nicht finden. Dann habe es Hinweise gegeben, der Gesuchte halte sich kurz vor Nordhagen auf. Dort hätten Polizisten ihn „angesprochen“. Der erst Vermisste, dann Suizidgefährdete, dann Angesprochene habe sich in einem „psychischen Ausnahmezustand“ befunden und habe ein Küchenmesser gezogen und sei auf die Polizisten „zugegangen“.
Dies gehe aus einer gemeinsamen Mitteilung der Staatsanwaltschaft Paderborn und der Polizei Bielefeld hervor. Die Obduktion sei angeordnet und auch ein Verfahren, wegen „Todschlags“, sei eingeleitet worden, „standartmäßig“, so die Welt. Es werde davon ausgegangen, dass die Schussabgabe durch „Notwehr“ gerechtfertigt gewesen sei. Die Bodycams der Polizisten seien wohl nicht eingeschaltet gewesen.
Die Zeit gibt weitere Details: Auch die Kameras der Einsatzwagen seien nicht eingeschaltet gewesen. Von mind. 3, evtl. bis zu 6, Kameras war also keine an. Der Schütze sei in dem zweiten Einsatzfahrzeug später zu dem schon vor Ort befindlichen Wagen samt Kollegen hinzugestoßen. Es werde auch ermittelt, ob der als suizidgefährdet gemeldet Getötete, mit der Absicht auf die Beamten zuging, von diesen getötet zu werden.

Wording ist alles
Im Pressebericht der tagesschau wird das zitierte Zugehen einen Absatz weiter schon als „losgehen“ beschrieben. Eine Umschreibung, die einen Unterton, eine Tendenz der Situationsbeschreibung in die Sache bringt. Dieses wird bei der Rheinischen Post noch deutlicher, hier wird der Getötete gleich in der Überschrift als „Messerangreifer“ bezeichnet (genauso bei der Welt und der Zeit, für den Stern ist der Getötete ein „Angreifer“). Im selben Artikel wird auch nur der eine, tödliche, Kopfschuss erwähnt, nicht die andern 3. Die ihn laut Obduktion, so der WDR, trafen. Laut diesem seien 4 Polizisten vor Ort gewesen. Die tödlichen Schüsse seien gefallen, als der Getötete sich bis auf eine Einsatzfahrzeuglänge zweien genähert haben soll. Also geschätzt etwa durchschnittlich 4m. Auch der WDR berichtet, der Getötete sei auf die Beamten „losgegangen“. Mit 4 m Abstand. Im Tagesschau-Bericht heißt es wörtlich: Ein „30-Jährige[r] wurde gestern von einem Polizisten in den Kopf geschossen. Der Mann starb dabei.“ Welch tragisch-zufällige Folge auf jene, scheint es, Nicht(?)-Ursache… . Laut Stern sei der Getötete „am Kopf getroffen“ worden, also nicht „in“ ihn, wie es die andern benannten Medien berichten. Interessant auch diese Tonverschiebung.
Analyse des Vorgangs und Fragen
Die Polizei erhält einen Anruf. Die anrufende Person meldet jemanden als vermisst, sie macht sich vermutlich Sorgen, denn der Gesuchte habe ja Suizidgedanken. Die Sorge gilt Leib und Leben des Gesuchten. Die Polizei soll ihn finden, ihn davor bewahren, sich womöglich das Leben zu nehmen. Ist die Polizei doch Freund und Helfer. Nicht?
Eine Suchaktion wird gestartet, schließlich wird die gesuchte Person gefunden. Wie wird sie gefunden? In einer „psychischen Ausnahmesituation“. No shit, Sherlock! Ein suizidgefährdeter Mensch, in einer psychischen Ausnahmesituation, wer hätte das vorhersehen können?! Wieso gehen Polizisten, nach solchen Hinweisen, ohne eine psychologisch ausgebildete Person zur Konfrontation mit einer gefährdeten Person über? Wieso sind keine Sozialarbeiter dabei oder jegliches medizinisches Fachpersonal, nicht mal ein Notarzt? Menschen die nicht mit Mordwerkzeug ausgerüstet sind?
Vielleicht auch „Standard“-vorgehen. Jedenfalls hilft der eine Polizist dem Suizidalen freundlich vom Lebendigsein über das Todwerden zum Todsein.

Wie hat die Ansprache ausgesehen? Mit welchen, sicherlich, sensiblen und einfühlsamen Worten ist dem Getöteten begegnet worden? Von dafür, freilich, hervorragend ausgebildeten Uniformträgern? Nix im Bericht, so scheints, der die Medien erreichte. Welchem Polizeirevier gehört der Schütze an? Kannten die Polizisten den Erschossenen? Wieso schoss ein Polizist, während es die drei andern nicht taten, also vermutlich nicht für nötig genug befanden?
War bekannt, ob der Getötete mit dem gezückten Messer, ein Küchenmesser – kein Kampfmesser, umgehen konnte, war er körperlich bedrohlich, also überaus groß und muskulös, war er Kampfsportler? Wieso setzte der Polizist Gewalt ein, von der er wusste dass sie tödlich wirken könnte? Wieso konnten 4 Polizisten nicht Tränengas einsetzen oder Schlagstöcke? Mithin potentiell weniger tödliche Gewalt? Wieso wurden Bodycams nicht eingeschaltet, oder sogar ausgeschaltet, wieso waren die Kameras der Einsatzwagen nicht an?
Jedenfalls deute alles auf Notwehr hin. Selbstverständlich. Obwohl…, der Getötete war ja nicht auf den Schützen zugegangen, sondern auf 2 andere Polizisten, die nicht schossen, um sich der „Not“ zu erwehren. Der Schütze selbst war mithin nicht in „Not“, denn ihm hatte sich der Messerhaltende ja nicht genähert. Komisch. Auch, dass standardmäßig von Todschlag ausgegangen wird, als mögliches Fehlverhalten das zur Anzeige zu bringen ist. Nicht etwa von Mord. Muss doch der Schütze wissen, dass ein Kopfschuss, mit hoher Wahrscheinlichkeit tödlich endet. Zudem, wenn, laut Obduktion, der Getötete auch in die Hand geschossen worden sei und auch das Messer von einer Kugel (evtl. derselben) getroffen wurde. Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Mensch, dessen Hand getroffen wird, diese mit Messer zum Angriff führen könnte? Nun, vielleicht sind die beiden tödlichen Schüsse, in Bauchraum und in den Kopf, in kürzester Zeit mit beschriebenen anderen abgegeben worden? Aber wenn, warum? Der Getötete war schließlich laut den Berichten etwa eine Wagenlänge von dem ihm nächststehenden Polizisten entfernt. Er hätte also noch mehrere Meter zurücklegen müssen, bevor er auch nur in der Lage gewesen wäre, einen Angriff auszuüben, wenn er diesen überhaupt ausgeführt hätte.
Nun gut, niemensch möchte erstochen werden. Also blauäugig, grün hinter den Ohren, naiv wie ein Neugeborenes, angenommen alles habe darauf hingedeutet, es werde gleich geschehen: Wieso wird der möglicherweise bedrohlichen Person nicht ausschließlich in Arme (die die Waffe führen) oder Beine (das Nähern zu hindern) geschossen? Wieso wurde kein Warnschuss in den Boden abgegeben? Wieso wurde auf den Kopf gezielt? Oder war der Schütze ein solcher der erbärmlich zielte, nur so grob in die Richtung Schüsse abgebend, dabei 4mal treffend? Wenn ja, wieso führte er dann eine Waffe? Wenn nein, welche Absicht verfolgte wohl ein gezielter Kopfschuss? Der Schütze war 27, kein Cop in Ausbildung. Die andern drei auch nicht. Die Berichte sprechen davon, der Getötete sei gegangen, nicht gerannt, war es den Polizisten nicht möglich zurückzuweichen, konnten 4 Cops den vermeintlich Angreifenden nicht einkreisen und sich nicht mind. einer von hinten nähern?

Fazit:
Alles standartmäßig. Die Polizei tötet jemanden, aber hey, der wollte ja sterben. Die Staatsanwaltschaft und ermittelnde Polizei sagt das sei Notwehr gewesen. Die Medien verbreiten die Pressemitteilung jener Behörden, ohne Fragen zu stellen. Hund beißt Mann. Langweilig das alles.
Hätte jemand der sich Journalist nennen darf, mal bei Bekannten/Verwandten recherchieren können, bei der Person die die Vermisstenanzeige aufgab, bei den Polizeibehörden, wer die beteiligten Beamten waren und wie deren Einsatzhistorien bisher so aussehen? Freilich. Aber was ist schon ein Toter.
Wichtig ist, es war ein Einzelfall. EIN Toter.
Obwohl…
„[…]By using your gun you lost your soul
Everyday we loose a bro […]“
In einem anderen Einzelfall…
wurde zwei Käffer weiter, in Bad Salzuflen, bei Herford, bei Bielefeld am dritten Juni Bilal G. von 5 Polizeikugeln getroffen. Bilal schwebte mehrere Tage lang in Lebensgefahr, die Staatsanwaltschaft gehe davon aus, dass er querschnittsgelähmt bleiben werde.
Was war geschehen?
Bilal, 19 Jahre alt, war gegen 3-4 Uhr in eine Polizeikontrolle (bei Herford) geraten, er war ohne Licht gefahren und, wie sich später raus stellte, ohne Führerschein. Er stand 2 Wochen vor seiner praktischen Prüfung, nach dem Bestehen der theoretischen. Jedenfalls gab Bilal, wie sein Anwalt sagte: „in Panik“, Gas und versuchte vor dem Streifenwagen zu fliehen. Er kam bis Bad Salzuflen wo er in eine Sackgasse fuhr, da ihm mehrere Polizeifahrzeuge (wohl 6) den Weg heraus abschnitten.
Nun behauptet eine anwohnende Person, Bilal habe im Auto eingekreist festgesessen und nichts tun können. Die Polizei behaupte anderes, entgegen dieser Darstellung. T-Online gibt die Darstellung wie folgt wieder: Bilal „habe es irgendwie geschafft, seinen Wagen zu wenden. Daraufhin sei er „mit augenscheinlich erhöhter Geschwindigkeit“ auf die Beamten zugefahren, die bereits aus ihren Autos ausgestiegen seien, um G. festzunehmen“.
13 Cops seien am Ort des Geschehens gewesen, 6 davon hätte ihre Dienstwaffen gezogen und zusammen mind. 30 Schüsse abgegeben (laut Innenausschuss 34), 5 davon trafen wie beschrieben Bilal. Nicht eine Kamera, weder Bodycams noch von diversen Streifenfahrzeugen, nahm irgendeine Aufnahme der Ereignisse auf (oder Aufnahmen verschwanden, jedenfalls wurden keine aufgefunden).
Ein Polizist sei im Übrigen leicht verletzt worden. Vermutlich den Finger am Abzug eingeklemmt, während des Versuchs einer Gruppenhinrichtung eines 19-jährigen migrantisch aussehenden Mannes. Welcher ohne Führerschein fuhr und ohne Licht und deswegen den Rest seines Lebens im Rollstuhl verbringen wird, „glückllich“ nicht von einer von den mind. 30 Kugeln ermordet worden zu sein.
Die SPD hatte im Innenausschuss zu dem Fall eine Sondersitzung beantragt und die Mordkommission der Polizei Bielefeld habe die Ermittlungen aufgenommen, gegen Bilal, nicht gegen die Schützen natürlich(!), der auf die Beamten zugefahren sei, welche sich nur „mit Not“ hätten in Sicherheit bringen können. So hieß es im Innenausschuss. Gegen 4 der Beamten wird nun nur wegen „Körperverletzung im Amt“ ermittelt, so berichtet die Tagesschau. Keiner der beteiligen Einsatzkräfte habe sich bis zur Sondersitzung zu den Geschehnissen geäußert. Die Sitzung fand wohl am 21ten Juni statt, 18 Tage nach den 34 Schüssen. Nach 18 Tagen hatte keiner der Einsatzkräfte sich zu den 34 beinahe tödlichen Schüssen auf einen 19-Jährigen geäußert.
Der Innenminister Reul und ein Ministerialbeamter berichteten, die Schüsse seien gefallen, als Bilal aus der Sackgasse habe fliehen wollen und dabei ein Einsatzfahrzeug gerammt habe und auf zwei der Beamten zugefahren sei, welche sich mit Sprüngen hätten in Sicherheit bringen können. Außerdem schien es Reul wichtig darauf hinzuweisen, dass die Einsatzkräfte ja nicht wussten, um wen es sich in dem fliehenden Fahrzeug handle. Reul wörtlich: „Es hätte ja auch eine bewaffnete Diebesbande gewesen sein können.“ Daher, scheinbar, das Motto: Erst schießen, später Fragen stellen. Aber nicht an die Schützen, die dürfen schweigen.

Meint wohl auch der ehemalige Polizist und CDU-Landtagsabgeordnete Christos Katzidis, müssten doch Polizisten, „in einer solchen, sich schnell entwickelnden Situation „im Dunkeln, wo man nicht alles genau sehen kann“ selbstverständlich versuchen […], sich selber zu schützen“. Also aus 6 Pistolen, wenn man nicht genau sehen kann, 34 Schüsse auf ein in mörderischer Absicht eingesetztes Auto feuernd, im Versuch mit 5 treffenden Kugeln ein klein bisschen, evtl. – es wird ja noch ermittelt…, Körperverletzung zu betreiben.

Der Minister hat sich nun freilich auch nicht erklären können warum die Bodycams nicht an waren, hatte er doch schon Ende April verfügt, das die Kameras „bereits in einem frühen Gefahrenstadium“ anzuschalten seien, um so dem „Schutz der Polizeikräfte“ zu dienen. Auch wenn die Beamten im Einsatz selber entscheiden würden, wann sie die Kameras einschalteten.
Er habe, nach den Ereignissen von Bad Salzuflen aber vor jenem ganz oben genannten, am 14ten Juni, „alle Polizeibehörden sensibilisiert bezüglich der Tragenpflicht und des Einschaltens der Bodycams und auch zu den rechtlichen Vorraussetzungen für einen Schusswaffengeb[ra]uch gegenüber Fahrzeugen“. Scheint irgendwie nix gebracht zu haben. Merkwürdig. Umsomehr, da doch schon in einem…
Anderen EINZELFALL,
in seinem Zuständigkeitsgebiet, im August 2022 in Dortmund Mouhamed Dramé im Alter von 16 Jahren durch mehrere Schüsse aus Polizeiwaffen getötet worden war. Wobei auch hier die Bodycams ausgeschaltet waren. Von diversen Polizisten, die aus kürzester Nähe jemanden zu erschießen müssen meinten. Hatte der Innenminister nach diesem Vorfall seine Polizeien auch schon mal sensibilisiert?

Wie viele Einzelfälle es wohl noch braucht, bis die Polizeien in Nordrhein-Westfahlen ein bisschen sensibler töten? Oder etwas sensibler schießen? Vielleicht nur ein tödlicher Treffer beim nächsten mal? Kugeln zu sparen?
Tja, warum ist Bilal auch geflohen! Er hätte ja auch Nichtfliehen können, so wie Mouhamed… . Oder der 30-jährige Suizidgefährdete vom Anfang, hätte er nicht aus dem Fall mit Mouhamed lernen können, dass wer ein Messer hat und eine psychische Ausnahmesituation erlebt gern mal von der Polizei hingerichtet wird? Obwohl, wenn er nun hätte sterben wollen, dann konnte er ja wissen, dass wenn er so täte, wie er tat, eine psychische Ausnahme machen und ein Messer halten, dass er dann seinen Wunsch nach dem Tode erfüllt bekäme. Und wenn dann würde dieses natürlich andern Suizidalen…, und Polizisten die immer schon mal jemanden erschießen wollten…, recht eigentlich eine Win-Win-Situation. Was solls. Hund beißt Mann. Usw.
Quellen:
https://www1.wdr.de/nachrichten/westfalen-lippe/toedlicher-schuss-polizist-delbrueck-100.html